
CHRONIK – An der Spitze des Orchestre philharmonique de Radio France hat Mikko Franck der Oper von Strauss eine anthologische Dimension verliehen. Nina Stemme spielte die Titelrolle, umgeben von Matthias Goerne, Waltraud Meier und Gun-Brit Barkmin.
Knapp drei Jahre nach der Eröffnung des Philharmonie de Paris, wo das Publikum schon jetzt nicht mit Begeisterung geizt, können wir uns an keinen spektakuläreren Applaus erinnern. Nach endgültiger Vereinbarung von Elektra, wie es am vergangenen Freitag klang, standen plötzlich 2400 Menschen wie selbstverständlich auf und schrien ihre Begeisterung heraus, als wollten sie sich aus einer zu lange eingedämmten Anspannung befreien. Zwar ist der 1909 entstandene Operneinakter ein Elektroschock, der K.-O. der widerstandsfähigste Zuhörer. Richard Strauss und sein Librettist Hugo von Hofmannsthal haben ein Konzentrat ekstatischer, erbarmungsloser Spannung geschaffen, dessen tragische Wut in Trance gerät.
Vor allem die fehlende Inszenierung könnte man befürchten in Erinnerung an das in Aix-en-Provence von Patrice Chéreau geschaffene Meisterwerk, deren Regie der Schauspieler so richtig diese mythologischen Figuren plötzlich zu Menschen machte.
Zugegeben, die Konzertfassung hat ihre Tücken: Zu sehen, wie die Sänger in Smoking und Abendkleid kommen und gehen, sich an ihre Schreibtische kleben und aus dem Hals ihrer Plastikwasserflasche trinken, hilft nicht wirklich, sich mit den Figuren zu identifizieren. Aber wenn es nicht auf alle Werke anwendbar ist, hat die Formel einen großen Vorteil, wenn es darum geht von Elektra: In dieser Dramaturgie, in der das Orchester eine eigenständige Figur ist, auf gleicher Augenhöhe mit den Stimmen, können Sie sich zu 100 % auf die Musik konzentrieren und wie nie zuvor die Musiker hervorheben, indem Sie die Musiker auf die Bühne und nicht in den Graben stellen Straußsche Instrumentationskunst.
Luzider Zauberstab
Es ist alles das Verdienst von Mikko Franck diese Konfiguration genutzt zu haben, um die Orchestrierung mit souveräner Meisterschaft zu meißeln. Sein großes Verdienst: Der Versuchung der unbestimmten Dezibel-Entfesselung nicht zu erliegen, kam mit dieser Belegschaft von 104 Musikern jedoch schnell an. Man kann sich eine wildere, viszeralere Richtung vorstellen, aber nicht ausgewogener. Dank seines immer klaren Taktstocks bleibt das Orchestre philharmonique de Radio France auch in den Verpuffungen transparent, und die platzenden Bläser zermalmen niemals die Saiten, die das Singen nicht vergessen. Zweifellos ein Beitrag ihrer ersten Geige eines Abends, Volkhard Steude, Konzertmeister der Wiener Philharmoniker als Gast genannt.
Wesentlicher Vorteil: Die Stimmen werden nur selten vom Orchester überdeckt. Und das war das Mindeste, bei solchen Stimmen! Die von Matthias Goerne (Orestes) strebt nach immer mehr Rundung und Tiefe. Die von Waltraud Meier hat nicht mehr die Kraft von gestern, aber diese Subtilität des Wortes, diese weibliche Klasse, diese Angst der Klytämnestra sind für immer historisch. Gun-Brit Barkmins ist nicht die ansprechendste, aber ihre Klarheit, ihre Laserprojektion befreit Chrysothemis von aller Sentimentalität: eine zukünftige Elektra? In der Zwischenzeit ist es Nina Stemme, die der vernichtenden Titelrolle mit viel mehr als Ausdauer, einer hochmütigen Würde, einer kompakten Kraft und einer souveränen Kontrolle gegenübersteht, die diesen Abend zu einem denkwürdigen machen.
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Quelle:© Elektrisierende Elektra in der Philharmonie de Paris