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FIGAROVOX/CHRONIK – Des Rassismus beschuldigt, Vom Winde verweht wurde von einem Kino in Memphis deprogrammiert. Alexandre Devecchio hat diesen Klassiker aus dem goldenen Zeitalter wieder aufgegriffen, der viel über seine und unsere Zeit aussagt.


 

Alexandre Devecchio ist Journalist bei Le Figaro und verantwortlich für Le FigaroVox. Er hat gerade veröffentlicht Die neuen Kinder des Jahrhunderts, untersucht eine zerbrochene Generation (ed. du Cerf, 2016) und ist Co-Autor von Willkommen in der schlimmsten aller Welten (Hrsg. Plön, 2016).

 

 

 

 


Einmal ist nicht üblich, wir müssen den kleinen Soldaten des Multikulturalismus für ihre ikonoklastische Wut danken. Durch die Verhinderung der Projektion von Avom Winde verweht im Orpheum Theatre in Memphis (Tennessee), das den Film seit 34 Jahren alljährlich zeigt, gibt er allen Kinogängern einen guten Vorwand, sich 3h58 Glück zu gönnen, indem sie wieder in David Selznicks Meisterwerk eintauchen. Solange sie mit einem einfachen DVD-Player ausgestattet sind, können sie den Nervenkitzel der Subversion erleben und vor allem feststellen, dass der Film 78 Jahre nach seiner Veröffentlichung kein bisschen gealtert ist. Technicolor, Zeuge einer gesegneten Zeit, als das Kino noch nicht von der Digitaltechnik kolonisiert wurde, bleibt bezaubernd. Scarlett O'Hara, verkörpert von der erhabenen Vivien Leigh, der schönsten und unwiderstehlichsten Schlampe der Kinogeschichte. Und Clark Gable/Rhett Butler, der eleganteste und männlichste Schauspieler aller Zeiten, weit vor George Nespresso Clooney.

Unmöglich, den Film mit demselben Auge zu sehen wie in der Vergangenheit? Eine Frage treibt den Betrachter nun um: „Vom Winde verweht ist er rassistisch? Dieses Werk nach den moralischen Kriterien von 2017 zu beurteilen, erscheint absurd und anachronistisch. Vom Winde verweht kam 1939 in die Kinos. Damals sang Martin Luther King mit seinem Kirchenchor in Atlanta zur Premiere des Films! Der Kampf um Bürgerrechte war noch immer nur ein ferner Traum und die vielfältige Ideologie der Science-Fiction. Aus diesem Grund wäre es notwendig, die Hälfte der damaligen amerikanischen Filmproduktion zu verbieten. Zuallererst Western und ihre mythologisierte Vision des Westens, wo die als Wilde präsentierten Indianer es verdient haben, von den netten Cowboys genozidiert zu werden. In Frankreich könnte, wenn wir dieser Logik folgen, die neue antirassistische Inquisition ein gigantisches Autodafé mit einer ganzen Reihe von literarischen Genies machen. Voltaires Werk brannte für „Islamophobie“, Célines für Antisemitismus. Molière wurde erneut exkommuniziert, diesmal jedoch wegen Frauenfeindlichkeit. Balzac, selbsternannter Verteidiger von „Thron und Altar“, wegen Konservatismus verboten. Der Versuch jedoch, die vermittelte Ideologie zu analysieren Vom Winde verweht, was der meistgesehene Film aller Zeiten seiner Zeit und unserer sagt, bleibt eine spannende Übung.

Vom Winde verweht ist kein Dokumentarfilm. Es geht hier weniger darum, die Geschichte neu zu schreiben, als vielmehr darum, eine mächtige Vorstellungskraft zu erheben, die eines romantischen und verschwundenen Südens.

Der Spielfilm wirkt viel komplexer und subtiler als unsere aktuellen Karikaturen. Auch bei zeitgemäßem, peniblem und wachsamen Blick erweisen sich die Vorwürfe „Rassismus“, „Entschuldigung für die Sklaverei“ oder gar „Ultrakonservatismus“ als überzogen. Wenn man ihm unbedingt ein Etikett anheften müsste, könnte man den Film als anarchistisch-konservativ bezeichnen. Am Ursprung vonVom Winde verweht, gibt es den Kultroman von Margaret Mitchell, Kind des Südens, Tochter eines wohlhabenden konservativen Anwalts und einer feministischen Suffragetten-Aktivistin. Der eigentliche Autor des Films, bei dem mehrere Regisseure, darunter Georges Cukor und Victor Flemming, Regie führten, ist David O. Selznick, ein jüdischer Hollywood-Produzent. Wie Scarlett O'Hara, hin- und hergerissen zwischen der faden Ashley Wilkes und dem charismatischen Rhett Butler, Vom Winde verweht ist völlig hin- und hergerissen zwischen Vergangenheit und Zukunft, Reaktion und Moderne, der ockerfarbenen Erde von Tara und dem neuen Amerika der Ostküste. Das mythische Paar des Films schöpft seine Kraft aus den traditionellen Werten des Südens, doch zutiefst unkonventionell und avantgardistisch brechen sie mit allen Konventionen ihrer Zeit. Rhett Butlers ironische Distanz zum Krieg ist nicht nur seinem Zynismus geschuldet, sie drückt seine Skepsis gegenüber einem mörderischen Konflikt aus, den er für nutzlos und im Voraus verloren hält. Was Scarlett O'Hara betrifft, so verdient allein ihre Figur eine oder mehrere Thesen zum Thema Feminismus. Als unabhängige und abenteuerlustige Frau fasziniert sie die männlichen Figuren des Films ebenso wie die Zuschauer mit ihrer Freiheit, ihrem feurigen Temperament, ihrer berühmten „Leidenschaft fürs Leben“. Ihre Figur zeichnet trotz allem ein wenig schmeichelhaftes Porträt der modernen Frau, ein Monster aus Egoismus und Narzissmus. Ihre Beziehung zu dem Mann ist unruhig und gewalttätig. Von Rhett Butler im Ehebett vergewaltigt, erscheint Scarlette O'hara, ewig unzufrieden, am nächsten Morgen erfüllt wie nie zuvor. Eine schwefelhaltige Szene, die heute als moralisch inakzeptabel gelten würde.

der Sklaverei, Vom Winde verweht vermittelt eine Vision, die nicht rassistisch, sondern paternalistisch ist. Hier sind die Sklaven mit ihrem Los zufrieden und hängen an ihren Herren. Wie Mamma, gespielt von Hattie McDaniel, der ersten schwarzen Schauspielerin, die für diese Rolle den Oscar gewann, die eine fast kindliche Beziehung zu Scarlett O'Hara entwickelt. Im Film werden Auspeitschungen und totale Versklavung vermieden. Aber Vom Winde verweht ist keine Dokumentation. Es ist ein romantisches Fresko, bevor es ein historischer oder politischer Film wird. Es geht hier weniger darum, die Geschichte neu zu schreiben, als vielmehr darum, eine mächtige Vorstellungskraft zu erheben, die eines romantischen und verschwundenen Südens. Der Film beginnt mit diesen wenigen eindrucksvollen Worten:Es war einmal ein Baumwollland namens Süden. Dort fanden sich die Besten der Galanterie, Ritter und Damen, Herren und Sklaven. Aber all das existiert jetzt nur noch in Träumen. Der Wind hat diese Zivilisation weggeblasen". Vom Winde verweht, kurz nach der Krise der 30er und kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs gedreht, zeigt mit Nostalgie das Ende einer Fantasiewelt und den Beginn einer neuen Ära, der des modernen und industriellen Amerikas. Als es herauskam, spiegelte es die Qualen des XNUMX. Jahrhunderts wider. Heute, in einer Zeit, die auch von der Erschöpfung einer Zivilisation und dem Aufbruch in eine neue Welt geprägt ist, findet sie eine neue Resonanz. Zwischen den Alten und den Modernen tobt die Debatte. Erstere wollen sich auf eine manchmal idealisierte Vergangenheit stützen, um die Gegenwart aufzubauen und sich auf die Zukunft vorzubereiten. Letztere machen sauber und räumen die alte Welt ab. Für sie werden Statuen und Mythen wie Klassiker und Träume des Goldenen Zeitalters unweigerlich weggeblasen.


 


Quelle: © Le Figaro Premium – Vorbei mit der alten Welt

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